Kidshelp Blog 23.04.2020 – Update zur Corona-Krise – Teil 2

Liebe Freunde und Unterstützer,

es freut uns ungemein, dass gleich mehrere von euch geschrieben und sich für die Updates zu den Auswirkungen der Krise auf Kambodscha bedankt haben. Wir verfolgen die Medien zu Hause und es ist verständlich aber schade, dass dort derzeit noch weniger über internationale Themen berichtet wird, als es sonst der Fall ist.

In diesem Beitrag werden wir deshalb möglichst viele Quellen mit Hintergrundinformationen zur aktuellen Lage verlinken.

Letzte Woche hätten die Kambodschaner normalerweise das Neujahrsfest (Khmer New Year) gefeiert. Während der knapp eine Woche dauernden Feierlichkeiten verbringt man traditionell viel Zeit mit der Familie, isst, trinkt und spielt diverse Gesellschaftsspiele. Auch die obligatorischen Besuche im Tempel dürfen nicht fehlen. Weil die Regierung befürchtete, dass sich das Virus durch diese Aktivitäten und die damit verbundenen Inlandsreisen vermehrt ausbreiten könnte, hatte sie die Feiertage in diesem Jahr auf unbestimmte Zeit verlegt.

Es wurde verkündet, dass das Neujahrsfest nachgeholt würde sobald die Krise vorbei sei. Weil daraufhin trotzdem viele Fabrikarbeiter beteuerten, dass sie sich frei nehmen würden, reagierte die Regierung mit der Verkündung eines Verbots von Reisen zwischen den verschiedenen Provinzen (bei uns Bundesländer). Laut Medienberichten sind aber dennoch etwa 15000 Textilarbeiter über Landstraßen von Phnom Penh in ihre jeweilige Heimat gereist. Diese sollen sich nun nach ihrer Rückkehr für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Diejenigen die es können, sollen sich in ihrer Mietwohnung isolieren. Alle, für die das nicht möglich ist, wurden dazu aufgerufen sich bei den Behörden zu melden und sollen in den derzeit leerstehenden Schulen untergebracht werden. Ob es tatsächlich so kommt, werden die nächsten Tage zeigen. Die Regelungen werden nämlich fortlaufend zwischen Vertretern des Arbeitsministeriums, der Gewerkschaftwen und verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen diskutiert. In den letzten Wochen haben die involvierten Parteien immer wieder gezeigt, dass sie durchaus offen für Kritik und zu Kompromissen bereit sind.

Unabhängig von der durch die Feiertage hervorgerufenen Reiseproblematik, haben viele Fabrikarbeiter derzeit Angst um ihre Gesundheit. Sie sagen in den Fabriken selbst und während der An- und Abreise zum Arbeitsplatz würde zu wenig getan, um sie vor einer Ansteckung zu schützen. Dass sie dennoch weiter zur Arbeit gehen zeigt deutlich, dass soziale Distanzierung ein Luxus ist, den sich viele arme Menschen nicht leisten können.

So sehen das auch die Autoren eines Artikels zur Situation von Textilarbeitern in Sri Lanka, Indien, Kambodscha und Indonesien. Sie schreiben:

“The above-mentioned instances make it clear that social distancing is a privilege, as the vast majority are much more concerned about the known fear of hunger and loss of employment than the unknown fears of a pandemic. “

Übersetzung:

„Die oben genannten Beispiele (zu den prekären Bedingungen für Textilarbeiter) machen deutlich, dass soziale Distanzierung ein Privileg ist, denn die große Mehrheit (der Arbeiter) ist viel besorgter über die greifbare Furcht vor Hunger und Arbeitsplatzverlust als über die weniger greifbare Furcht vor einer Pandemie.“

Da nicht absehbar ist, wie lange die Krise noch anhält und die Regierung die Grundversorgung der Bevölkerung nicht auf unbestimmte Zeit gewährleisten kann, müssen jetzt schnellstmöglich kreative und umsetzbare Lösungen gefunden werden. Wenn nicht zu arbeiten keine Option ist, könnte das zum Beispiel bedeuten, dass man sich auf die Verbesserung des Arbeitsschutzes und die effektive Identifikation und Isolation von Kranken konzentriert.

Ihr fragt euch vielleicht warum wir so ausführlich von der Situation der Arbeitnehmer im Land berichten, obwohl der Schwerpunkt unserer Projekte doch auf Bildung liegt? Der Grund dafür ist, dass Massenarbeitslosigkeit und eine Rezession auch massive Auswirkungen auf den Bildungsbereich haben werden und bereits haben. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht:

Die Eltern und die erwachsenen Geschwister unserer Studenten und Schüler arbeiten fast ausnahmslos in Sektoren die von der Krise betroffen sind. Viele versorgen derzeit sogar noch zusätzlich die Familienmitglieder mit, die vormals als Wanderarbeiter in Thailand ihr Geld verdient haben und die jetzt wegen der Krise ebenfalls arbeitslos geworden sind. Erschwerend hinzu kommt, dass die pro-Kopf Verschuldung in Kambodscha so hoch ist wie in fast keinem anderen Land der Welt. Viele Familien haben Kredite abzubezahlen, die sie selbst vor der Krise nur mit großer Anstrengung tilgen konnten.

Weil die Grundversorgung der Familien nicht mehr gewährleistet ist, tritt Bildung immer stärker in den Hintergrund. Wenn die Notlage weiter andauert, könnte es dazu kommen, dass Kinder dazu gezwungen sind vorzeitig die Schule abzubrechen und zu arbeiten. Auch die Raten von häuslicher Gewalt und Missbrauch steigen in Notsituationen merklich an. Zusätzlich bedrohen Unter- und Mangelernährung die geistige und körperliche Entwicklung der Kinder.

Wir denkend deshalb darüber nach, wie wir die Menschen, mit denen wir arbeiten, in der Krise weiter effektiv unterstützen können. Die monatlichen Auszahlungen von Geldern an die Familien unserer Patenkinder, sind normalerweise an die Vorlage eines Schulbesuchnachweises gebunden. Derzeit sind die Schulen jedoch geschlossen. Wir haben den Familien bereits mitgeteilt, dass wir das Geld deshalb bis zum Ende der Krise ohne Vorlage dieses Nachweises auszahlen. Das wurde mit großer Erleichterung aufgenommen.

Abbildung 1: Bei unserer Auszahlung gelten derzeit strenge Regeln. Maximal 5 Kinder gleichzeitig, Schutzmaskenpflicht und Abstand zwischen allen Beteiligten. Außerdem messen wir die Temperatur aller Anwesenden. Wer Fieber hat muss leider draußen bleiben. Das Geld bekommt die Familie natürlich trotzdem. Die gute Nachricht. Im April hatten nur sehr wenige Kinder leicht erhöhte Temperatur und niemand ein ernstes Fieber.

Außerdem können wir dank der Spenden der Förderer der Englischschule den Lehrern 45% ihres Gehalts auszahlen. Weil sie außerdem weiterhin ihr staatliches Einkommen beziehen, sind Lehrer derzeit besser aufgestellt als viele ihrer Landsleute. Im Gegenzug fordern wir von ihnen sich bereits jetzt Gedanken dazu zu machen, wie sie den Unterricht in der Zeit nach der Wiedereröffnung der Schulen gestalten können. Die älteren Klassen könnten beispielweise die Materialien der Weltgesundheitsorganisation zur Prävention von COVID 19 besprechen und so neue Vokabeln lernen. Wir sind uns aber bewusst, dass es genauso wichtig sein wird, auch wieder Dinge zu besprechen, die nichts mit dieser Krankheit zu tun haben.

Je nachdem wie lange die Krise anhält und wie viele Menschen arbeitslos bleiben, könnte man auch darüber nachdenken verstärkt Nothilfe zu leisten. Wir könnten beispielsweise versuchen einen Arzt zu finden, der einmal pro Monat eine kostenlose Klinik in der Schule einrichtet. Viele Familien werden derzeit noch häufiger auf teure Arztbesuche verzichten, als sie das ohnehin schon tun.

Eine weitere Möglichkeit die Familien finanziell zu entlasten und die Entwicklung der Patenkinder zu gewährleisten, wäre die Einrichtung einer Suppenküche, die eine warme Mahlzeit pro Tag ausgibt und dabei auf die Einhaltung der Abstandsregeln achtet. Positiver Nebeneffekt einer solchen Maßnahme wäre, dass wir der Köchin bzw. den Köchen ermöglichen würden, ihren Lebensunterhalt aufzubessern. Man könnte dann ebenfalls darüber nachdenken, den Kindern Arbeitsblätter und Hausaufgaben mitzugeben, wenn sie sich ihre Mahlzeiten abholen. Da so etwas aber auch zusätzliche Kosten und einen nicht unerheblichen administrativen Aufwand mit sich bringt, wollen wir die aktuellen Entwicklungen noch für eine Weile beobachten. Außerdem würden wir derlei Maßnahmen nur dann durchführen können, wenn sich Sponsoren finden, die die dazu notwendigen Gelder für mehrere Monate zusagen. Ansonsten stehen Arbeitsaufwand und Wirkung in keinem sinnvollen Verhältnis zueinander.

Das sind bisher alles reine Gedankenspiele. Falls ihr eigene Ideen für Nothilfeaktionen und deren Finanzierung habt, schreibt uns dazu bitte einfach eine E-Mail an info@kidshelp-kambodscha.org

Das soll es für den Moment gewesen sein. Ende des Monats laufen viele der Aktuellen Regelungen aus. Wir melden uns dann Anfang Mai und berichten ob und was sich an der Situation geändert hat.

Liebe Grüße aus Phnom Penh und Kandal,

Euer Kidshelp Team!