Update zur Corona-Krise – Teil 3 – Wir suchen dringend neue Paten

Liebe Freunde und Unterstützer,

mittlerweile ist tatsächlich bereits die Hälfte des Jahres vorbei und die Schulen sind seit mehr als drei Monaten geschlossen.

Es ist nicht einfach ein gesamtheitliches Bild der aktuellen Lernsituation zu zeichnen. Das liegt in erster Linie daran, dass es kein einheitliches Bild gibt. Die Unis und viele der teuren Privatschulen haben mittlerweile erfolgreich auf digitales Lehren umgestellt. Weil ihre Zielgruppe fast ausnahmslos Smartphones und Laptops besitzt, ist es kein Problem den normalen Stundenplan beizubehalten und per Livestream zu unterrichten. Das bedeutet, ein sehr kleiner Teil der wohlhabenden Studierenden und SchülerInnen aus den Ballungszentren kann weiter lernen, während große Teile der Landjugend und der einkommensschwachen Stadtbevölkerung mit erheblichen Schwierigkeiten kämpfen.

Das liegt nicht bloß an dem Mangel an Geräten, die einen Zugang zu digitalen Inhalten ermöglichen, sondern auch an den Kosten und der Verfügbarkeit von Internet und Fernsehen. Um staatliches Bildungsfernsehen zu empfangen, bedarf es eines Kabelanschlusses oder einer Satellitenschüssel. Beides ist mit Anschaffungskosten oder monatlichen Gebühren verbunden. Um an live-Unterricht über das Internet teilnehmen zu können, bedarf es neben den eigentlichen Empfangsgeräten einer stabilen und schnellen Internetverbindung. Die ist auf dem Land oft nicht oder nur zeitweise vorhanden.

Alternativ können SchülerInnen über eine App mittels voraufgezeichneter Videos lernen. Diese scheint gut zu funktionieren und es zeigt, dass die Regierung sich bemüht, Bildung auf verschiedenen Kanälen und Medien anzubieten. Allerdings bedarf es auch für den Zugang zur App eines Smartphones mit Internetzugang. Beides kostet Geld. Selbst wenn man annimmt, dass sich mehrere Kinder ein Telefon über den Tag verteilt teilen, wird es in einer großen Familie mit nur einem Smartphone Engpässe geben, was den Zugang einzelner Kinder zur App angeht.  Weil die Regierung das ebenfalls weiß, hat sie vorgeschlagen, dass Kinder, die keinen Zugriff auf das staatliche Bildungsfernsehen haben, bei den Nachbarn mitschauen können.

Außerdem wurden LehrerInnen mittlerweile dazu angehalten, Kleingruppen in ihren Dörfern zu unterrichten. Das machen sie teils im eigenen Haus und teilweise unter den Stelzenhäusern anderer SchülerInnen. Sie haben die Anweisung die Gruppen klein zu halten und die Grundregeln für Hygiene und Abstand zu beachten. Die LehrerInnen sind also viel unterwegs und erreichen so zumindest Teile der Schülerschaft. SchülerInnen, die weit abseits leben, sind so allerdings nur schwer zu erreichen. Außerdem sind die Klassen, gerade in den jüngeren Jahrgängen, sehr groß. Wenn LehrerInnen nun also nur kleine Gruppen unterrichten dürfen, bedeutet das zwangsweise, dass ihr Zeitaufwand wesentlich höher ist. Das Tempo, in dem sie die Inhalte des Schuljahres durchgehen können, ist dementsprechend deutlich geringer.

Abbildung 1:Damals war Abstand halten noch nicht oberstes Gebot. Drei Schülerinnen bei den Feierlichkeiten zum Graduation Day 2020 im Januar.

Obwohl es noch keine offiziellen Statistiken gibt, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass viele SchülerInnen seit März deutlich langsamer lernen und sich nicht ausreichend auf die Abschlussprüfungen vorbereiten können. Es stellt sich jetzt also die Frage, ob und wie der Übergang zum nächsten Schuljahr vollzogen werden kann. Im Hinblick darauf sind vor allem zwei Aspekte relevant: die Gesundheit der LehrerInnen, der SchülerInnen und ihrer Familien und der Wissensstand der SchülerInnen. Vom letzteren hängt ab, ob das aktuelle Schuljahr wiederholt werden muss.

Sollte die Regierung beschließen, dass durch die Unterrichtsausfälle eine Wiederholung des aktuellen Schuljahres unvermeidbar ist, könnte das die Anzahl der Schulabbrüche erhöhen. Das haben uns einige Schüler im Teenageralter bereits offen so gesagt. Viele von ihnen arbeiten derzeit in einfachen Jobs um die finanziell angeschlagenen Familien zu entlasten. Je länger die Schulen geschlossen bleiben, desto wahrscheinlicher ist, dass sie die Schule zu Gunsten dieser Jobs abbrechen. Mit Hinblick auf die Möglichkeit der Wiederholung des Schuljahres sagte uns eine Zehntklässlerin im Interview, dass sie Schule zwar nicht sonderlich mag, ihr Abitur aber machen möchte, insofern sie im Herbst mit der elften Klasse weitermachen kann. Für den Fall, dass sie die zehnte Klasse wiederholen muss, würde sie aber auf jeden Fall abbrechen und weiter in dem Schönheitssalon arbeiten, in dem sie derzeit einen Job angenommen hat. Dementsprechend besorgt sind wir, wenn die Möglichkeit der Wiederholung des Schuljahres in den Medien diskutiert wird. Auch die schiere Länge der Schulschließungen wird sehr wahrscheinlich Einfluss auf die Anzahl der Schulabbrüche haben. Die Aussage der zitierten Schülerin macht das ebenfalls deutlich.

Wir verstehen allerdings auch, dass der gesundheitliche Aspekt nicht vernachlässigt werden darf. Es scheint zwar kaum COVID 19 Fälle im Land zu geben, allerdings reichen die Kapazitäten des Gesundheitssystems auch nur zur Versorgung weniger kritischer Fälle aus. Es ist also oberste Vorsicht geboten. Viele Schulen auf dem Land haben gar keine Toiletten oder lediglich Latrinen ohne fließendes Leitungswasser und ausreichend Seife. Ihre Reinigung obliegt in der Regel den LehrerInnen und SchülerInnen. Traditionell werden diese Räume nur gekehrt. Die Reinigung durch Fachpersonal und mit Wasser und Seife ist nicht vorgesehen. Außerdem sind die Lerngruppen mit 30 bis 45 Kindern pro Klasse sehr groß. Es gibt schlichtweg nicht genügend Raum, um Abstand zu halten.

Die Regierung scheint deshalb damit begonnen zu haben die Schulen in verschiedene Kategorien einzuordnen. Diese scheinen Hygienestandards zu berücksichtigen und es wurde zumindest die Idee geäußert, Schulen mit den höchsten Standards früher zu öffnen. Auch das macht Sinn, würde aber abermals wohlhabende SchülerInnen aus den Städten bevorzugen. Die Schulen, von denen hier die Rede ist, dürften mehrheitlich Privatschulen sein, die auf die Schulgebühren angewiesen sind. Ihnen zu ermöglichen wieder zu öffnen, würde zusätzlich den Lebensunterhalt der dort angestellten LehrerInnen und Beschäftigten sichern. Die in diesem Zusammenhang zu treffenden Entscheidungen sind dementsprechend kompliziert und vielschichtig. Wir hoffen, dass das Bildungsministerium Wege findet, möglichst vielen SchülerInnen eine sichere Rückkehr in den Schulalltag zu ermöglichen und wir werden diese selbstverständlich auch in unserer eigenen Schule bestmöglich umsetzen.

Dank der Unterstützung der Förderer der Englischschule können wir unseren LehrerInnen weiter 45% ihrer Gehälter auszahlen. Auch die Putzfrau bekommt eine monatliche Hilfszahlung. Vielen Dank an alle Unterstützer. Weil wir diese Nothilfe zahlen, haben wir die LehrerInnen darum gebeten sich mit uns zu überlegen, wie man die Kinder auch während der Schließungen unterrichten kann. Mittlerweile existiert ein System, das den SchülerInnen ermöglicht sich einmal pro Woche Arbeitsblätter an der Schule abzuholen. Bei der Abholung reichen sie zeitgleich ihre Aufgaben der Vorwoche ein, die in der Folge von den Lehrern korrigiert und mit Kommentaren versehen werden. Weil wir uns bewusst sind, dass nicht alle SchülerInnen diese Arbeitsblätter abholen können oder wollen und weil solche Übungen auch nicht den täglichen Unterricht ersetzen können, haben wir uns entschlossen bis zur Wiedereröffnung der Schule keinen neuen Stoff zu unterrichten. In den Arbeitsblättern geht es vor allem darum wichtige Lektionen zu wiederholen und auf Lerninhalte einzugehen, mit denen die Kinder oft Schwierigkeiten haben.

Abbildung 2: Beispiele für die Arbeitsblätter die die Kinder wöchentlich mit nach Hause nehmen und bearbeiten.

Weil aus den oben genannten Gründen schwer zu sagen ist, ob und wie viele Teenager die Schule wegen der Auswirkungen von COVID 19 vorzeitig abbrechen werden, zeitgleich wegen der finanziellen Krise aber jeder Dollar von den Familien gebraucht wird, haben wir zwei Dinge beschlossen: Wir wollen erstens allen derzeitigen Patenkindern ihr monatliches Geld für die gesamte Dauer der Schulschließungen bedingungslos weiter auszahlen. Das heißt im Moment entfällt bei der Auszahlung der Patengelder die sonst übliche Kontrolle, ob die Kinder zur Schule gehen. Und zweitens wollen wir verstärkt neue Grundschulkinder verpaten. Bei ihnen ist die Chance, dass sie die Schule aufgrund der derzeitigen Entwicklungen frühzeitig abbrechen gering – selbst wenn die Schließungen ein Jahr andauern oder das aktuelle Schuljahr wiederholt wird.

Die Förderung durch die direkte Übergabe von Bargeld an die Familien, ist oft die beste Möglichkeit sie in einer wirtschaftlich katastrophalen Lage zu unterstützen. Die Familien selbst wissen meistens am besten, wie sie das Geld am effektivsten einsetzen. Ihnen stattdessen Hilfsgüter zu überreichen ist entmündigend und geht oftmals an den realen Bedürfnissen vorbei. Selbst Schulmaterialien oder Kleidung würden wohl verkauft, wenn Geld für Nahrung oder gesundheitlich Bedürfnisse benötigt wird. Das zeigt eine Vielzahlt von Studien zur Verwendung solcher Hilfsgüter.

Wenn ihr also in dieser Notlage möglichst effizient arme Familien in den Dörfern rund um unsere Schule unterstützen wollt, könnt ihr eine Schülerpatenschaft übernehmen. Wir verstehen, dass auch in Deutschland und Europa derzeit viele Menschen finanzielle Probleme haben. Falls ihr es euch selbst nicht leisten könnt, könnt ihr uns vielleicht dennoch unterstützen, indem ihr Werbung für uns macht oder versucht Freunde oder euren Arbeitgeber davon zu überzeugen Patenschaften zu übernehmen.

In Kambodscha gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung und kaum Sozialhilfen für die meist informell angestellte Bevölkerung. Mit einer Patenschaft leistet ihr deshalb einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Menschen hier eine faire Chance haben die Krise zu überstehen, ohne sich erheblichen gesundheitlichen Risiken auszusetzen und ihre Kinder frühzeitig aus der Schule holen zu müssen.

Vielen herzlichen Dank vom gesamten Kidshelp Team!